In einer Geschichte vom Verschwinden geht es meist um eine Person, die verschwindet. Eine Frau oder ein Mann oder ein Kind. Verschwunden – einfach so. Kommissare oder Detektive, die die verschwundene Person, manchmal ist es auch ein Haustier, suchen. Ein Krimi. Und dann ist die Person – oder eben das Haustier – wieder da. Oder eine Leiche. Oder zumindest die Erkenntnis, was passiert ist. KLASSIKER! LANGWEILIG! EIN GRUND WARUM ICH KEINEN TATORT MEHR GUCKE! ÖDE!!!
Doch was ist eine nicht-langweilige Geschichte vom Verschwinden? Die, wie mal mein Geld „verschwunden“ ist? Oder die, wie mal mein Kaffeebecher im Büro entführt wurde? Oder die, die mich seit Jahren beschäftig? Die, die sich darum dreht, wo verfluchte Scheiße nach meinem Auszug aus meinem Elternhaus mein Schul-Atlas abgeblieben ist? Der große Weltatlas von Diercke – den ich seit der 6. Klasse hatte. In dem ALLE NOTIZEN aus dem Erdkunde-LK und dem Abi stehen. In dem ich die Route durch die USA nachgezeichnet habe, die ich gern reisen wollte, wenn ich mit der Schule fertig bin. Die in meinen Geschichten mehrfach bereist wurde, obwohl ich NIE dort war. Was für ein ARMUTSZEUGNIS. Der Scheiß-Atlas ist verschwunden und deshalb habe ich die Reise nicht gemacht? Könnte mir die Haare ausreißen vor Wut!! So wie das Rumpelstilzchen. Hat mein Ex-Freund mal zu mir gesagt: Birke-Stilzchen. Der dumme Arsch[1]. Hätte der mich nicht immer so genervt mit seinem „ich mache immer nur, worauf ich Lust habe“-Scheiß, hätte ich ne Menge Energie sparen können. Dann hätte ich zum Beispiel den Atlas suchen oder in einem neuen Exemplar die Route einzeichnen können. Doch wäre es Dasselbe gewesen? In meinen Geschichten waren die Protagonisten nie allein. Sie waren immer mindestens zu zweit – mit Geschwistern und einem Haufen Freunde. Immer Leute, die auch Bock auf Abenteuer hatten und Zeit und Geld. Viel Geld. Denn wie hätten die sich das sonst alles leisten können?
Bisschen sauer macht es mich schon, dass der Atlas und die Route weg sind. Doch warum? Doch warum auch nicht? Darf ich nicht einfach sauer sein? Über ein verlorenes Buch und damit über eine verlorene Geschichte oder Vision? Ja doch klar, darf ich darüber sauer sein – und wie.
Wo er wohl hingegangen ist, der Atlas? Altpapier? Vermutlich. Ich glaube ich habe ihn versehentlich auf den falschen Stapel gelegt. DAMALS. 100 Jahre her – gefühlt. Viel passiert seitdem. Oder auch gar nix. Mit dem Atlas und dem Eintritt ins Erwachsenenleben gingen auch die Träume. Ich wollte Großes. Ich wollte fotografieren. Ich wollte schreiben. Ich wollte reisen. Und was mache ich? JA GENAU – all das! Instagram (350 Follower), schreiben (jetzt gerade), reisen (immer mal wieder).
Sei mal dankbar über das was Du hast. Hör auf die gestohlenen Dinge zu zählen, die verlorenen Dinge. Ist der „Neue“ – der Ersatz-Atlas – nicht auch schon 15 Jahre alt? Gibt es nicht auch Leute, die nie einen Atlas hatten? Oder einen kreativen Gedanken oder eine Vision oder irgendwelche Geschichten? Ja sicher gibt’s die. Freu Dich also mal gefälligst. Hast doch gar nix verloren – ist doch gar nix verschwunden. Hast immer nur gewonnen. Kilos, Falten, Lebenserfahrung, Wetttrinken, Menschen, Gewinnspiele, Ideen und und und. Und nun sogar noch eine Minute für einen Schlusssatz. Thema verfehlt? Gibt’s nicht. Passt schon. Dankeschön – auf Wiedersehen.
[1] Da ich weiß, dass Du das hier irgendwann mal liest und weil es so ist: Du bist kein dummer Arsch. Ich bin sehr dankbar, dass Du mich für eine Weile in meinem Leben begleitet hast.
Photo by Chris Lawton on Unsplash
© Birke Lechelt
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